A1: Die Entdeckung des Murus Gallicus in Basel 1971
1971 wird auf dem Basler Münsterhügel an der Rittergasse der Murus Gallicus entdeckt, eine Art keltische Stadtmauer mit Toranlage. Sie entstand vor der römischen Okkupation und schützte ein Oppidum. Dieses erweist sich als die Nachfolgesiedlung der schon länger bekannten Keltensiedlung am Rhein unter dem heutigen Novartis-Campus (Siedlung Basel-Gasfabrik).
Sommer 1971 an der Rittergasse 5 in Basel: Die alte Turnhalle von 1887 soll abgerissen werden. Der Kantonsarchäologe Rudolf Moosbrugger bekommt für die Monate August und September Zeit, das Areal zu untersuchen.
Er hat die gute Idee, die Grabung vor dem Abriss der Halle durchzuführen und diese als Schutzdach zu nutzen. Andres Furger ist als Student dabei.
Der Holzboden der Turnhalle wird herausgerissen. Darunter kommt im vorderen kleineren Bereich, gegen den alten bekannten Befestigungsgraben hin, ein Paket von Kulturschichten zum Vorschein, im nördlichen Teil aber nichts als rötlicher Kies. Der Kantonsarchäologe lässt die in Sedimentanalyse bewanderte Elisabeth Schmied, Leiterin des Labors für Urgeschichte, kommen. Sie glaubt im hoch liegenden Kies eher natürlich abgelagertes Material zu erkennen. Was aber ist mit den verschiedenen hohlen Gängen im Kies, eine gute Handbreit weit und ziemlich gerade verlaufend? Es könnten Fuchsgänge sein, war zunächst die Meinung. Die zugezogenen Studenten machten sich enttäuscht mit einem raschen Ende der Grabung und damit des Ferienjobs vertraut.
Bis dann der junge Grabungstechniker Christian Bing aus Neugierde eines Tages mit dem Arm tief in einen dieser Fuchsgänge greift, einen langen festen Gegenstand umfasst und herauszieht. Es ist ein stark verrosteter Balkennagel. Jetzt macht es Klick! Von der humanistischen Ausbildung her kannte man die Schilderung Caesars in seinem Bellum Gallicum VII 23 der keltischen Wallanlagen mit Innenarmierung aus Holzbalken, genannt Murus Gallicus. Die Sensation war perfekt! Schon vorher waren einige solche Nägel gefunden worden, direkt unter dem Turnhallenboden; sie wurden allerdings für neuzeitliche Zimmermanns-Nägel gehalten.
Die weitere Untersuchung der Wallanlage ergab aufgrund der Balkenhohlräume einen Gitterrost mit deutlichen Brandspuren im Frontbereich und die Ecke einer Toranlage in Form von Trockenmauern zur Rittergasse hin, knapp vor dem Fundament der Turnhalle erhalten. (Die Rittergasse war schon in keltischer Zeit die Hauptachse der Siedlung gewesen.)
Wie stolz waren die Studenten, bei dieser Entdeckung dabei sein zu dürfen, Feuer und Flamme. Schliesslich trat der Kantonsarchäologe grosszügig die wissenschaftliche Auswertung der Grabung an Furger ab. Sie wurde Teil seiner Prüfungsarbeit über die keltische Siedlung auf dem Münsterhügel (1974/75 publiziert, unten digital abrufbar).
Dass der Nachweis eines keltischen Oppidums (stadtähnliche Anlage der Kelten) auf dem Basler Münsterhügel so lange gedauert hatte, ist mit der Römerbegeisterung im mittleren Drittel des 20. Jahrhunderts zu erklären. Die von Rudolf Laur angeschobene baslerische 2000-Jahrfeier von 1957, die sich eigentlich auf Augst bezog, wurde zum Grossereignis. Obwohl der nüchterne Felix Staehelin schon im Jahre 1922 ein Basler Oppidum postuliert hatte, dauerte es fast 50 Jahre bis zum Nachweis des keltischen Ursprungs der Siedlungen auf dem Münsterhügel. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der nachfolgenden Zeit der schnellen Fortschritts lagen die Römer besser im Zeitgeist (zu Laur und den Römern siehe «Die Schweiz zur Zeit der Römer» bes. S. 306ff.).
Rudolf Laur hatte offenbar sein Kommunikationstalent von seinem Vater Ernst Laur geerbt, Direktor des Bauernverbands («Schweizerart ist Bauernart»). Rudolf Laur zog als Gymnasiallerer auch meinen Vater in Bann; er wollte Archäologe werden, musste aber dann einen weniger brotlosen Beruf ergreifen und wurde Chemiker. Aber er begeisterte in der Folge später mich, den jüngeren Sohn (und mit ihm auch meinen Cousin Alex Furger, später Leiter der Ausgrabungen und des Museums in Augst) für die Archäologie. Als junger Schüler schon war mir dann klar: Ich werde Archäologe.
Es war die Zeit, als Bücher wie «Götter, Gräber und Gelehrte» von 1949 sowie «Und die Bibel hat doch recht» von 1955 Bestseller waren und auch von mir verschlungen wurden (dazu auch A0 "Archäologie – Geschichte – Museen S- 5ff.).
Ur- und frühgeschichtliche Archäologie wurde in der Schweiz der Zwischenkriegszeit allmählich zu einer Wissenschaft, vor allem die provinzialrömische Archäologie. Die Römer wurden damals als «unsere kulturellen Vorgänger» gesehen (dazu die Forschungsgeschichte A7).
Gedruckte Publikationen
Oppidum Basel-Münsterhügel | Grabungen 1971/72 an der Rittergasse 5. Mit einem Exkurs zu den spätkeltischen Fundmünzen aus Basel | |
Jahrbuch Nr. 58 | Schweizerische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte | 1974/75, Seiten 77-111 (Lizentiatsarbeit) |
Die Ausgrabungen im Basler Münster 1 | Die spätkeltische und augusteische Zeit | Untersuchungen zur spätkeltisch-frührömischen Übergangszeit in Basel, Band 1 |
Derendingen-Solothurn | Dissertation | 1979 |
Der Murus Gallicus von Basel | ||
Jahrbuch Nr. 63 | Schweizerische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte | 1980, Seiten 131-184 |
Frühe Auxilien am Rhein | Keltische Münzen in römischen Militärstationen | Archäologisches Korrespondenzblatt 11, 1981, Seiten 231-246 |
Die Schweiz zur Zeit der Römer | Multikulturelles Kräftespiel vom 1. bis 5. Jahrhundert | Andres Furger, Cornelia Isler-Kérenyi , Stefanie Jacomet, Christian Russenberger und Jörg Schiblery | Zürich, 2001 |
Unter uns | Archäologie in Basel | Herausgegeben von der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt und dem Historischen Museum Basel | Basel, 2008 |
Eckhardt Deschler-Erb | Basel-Münsterhügel | Am Übergang von spätkeltischer zu römischer Zeit |